Krafttraining für Kinder – gesund oder nicht?

Text: Bernadette Hörner (sportblog.cc)

Sport trägt außerordentlich viel zu einem gesunden, erfüllten Leben bei – und oft hören Eltern den Rat, dass Bewegung bereits in das frühe Kindesalter integriert werden sollte, da später ein Leben lang von den erworbenen Fähigkeiten gezehrt wird.

In meiner Praxis als Fitnesstrainerin äußern Mütter und Väter aber immer wieder Bedenken: Was kann ich meinem Kind zumuten? Ist intensiver Sport nicht schlecht für die körperliche Entwicklung?

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Es ist vermutlich eine der ältesten und meist verbreiteten Volksweisheiten, dass intensives Krafttraining für Kinder ungesund ist. Wenn schon, dann bitte nur mit dem eigenen Körpergewicht, denn mehr vertragen die kindlichen Knochen nicht. Als abschreckende Folgeschäden werden meistens Wachstumsstörungen, Epiphysenschäden oder Bänder-, Sehnen- und Gelenksprobleme zitiert.

In diesem Artikel möchte ich zeigen, warum dieser Standpunkt längst überholt ist und warum intensives Krafttraining für Kinder eine sehr gute Sache sein kann.

Mythos 1: Krafttraining bewirkt bei Kindern ohnehin keinen Muskelaufbau

Die ursprüngliche Abneigung gegen Krafttraining im Kindesalter baute zuallererst auf der falschen Annahme auf, dass Krafttraining bei Kindern keine Effekte zeigt. Diese Hypothese wurde aufgrund der bei Kindern noch sehr geringen Testosteronproduktion aufgestellt.

Dieses männliche Sexualhormon spielt beim Muskelaufbau eine wesentliche Rolle, was man unter anderem anhand des rapiden Kraftzuwachses in der Pubertät beobachten kann.

Die Testosteron-Annahme wurde aber durch einige Untersuchungen, wie z.B. jener von Faigenbaum (1996)[1], widerlegt. Es kommt sehr wohl auch bei Kindern zu einer Erhöhung der Muskelmasse, wenn auch vielleicht in geringerer Form als bei Jugendlichen bzw. Erwachsenen.

Mythos 2: Krafttraining führt bei Kindern zu Wachstumsstörungen

Die Annahme, dass Krafttraining bei Kindern zu Wachstumsstörungen führen kann, entstand aus den negativen Auswirkungen schwerer körperlicher Arbeit auf das Wachstum der Kinder in früheren Zeiten. Diese Wachstumsstörungen werden aus heutiger wissenschaftlicher Sicht im Wesentlichen auf die damalige schlechte Ernährung der Kinder bzw. den generell ungesunden Lebensstil zurückgeführt.

Nach dem aktuellen Wissensstand hat Krafttraining sogar den gegenteiligen Effekt. Kraftbelastungen wirken sich positiv auf die kindliche Knochendichte und die Stärke der anderen passiven Strukturen aus (Bänder, Sehnen, usw.). Womit wir gleich beim dritten Mytos wären.

Mythos 3: Krafttraining führt bei Kindern zu Verletzungen von Sehnen, Bändern, Knorpeln

Eine aktuellere Studie von Myer (2009) analysierte die Verletzungsgründe beim kindlichen Krafttraining: Dazu wurden in den Jahren 2002 bis 2005 alle Verletzungsfälle unter dem Stichwort „Weightlifting“ analysiert und in Alterskategorien eingeteilt. Es wurde ausgewertet, um welche Art der Verletzung es sich handelte, um anhand dieser Daten Aussagen über die größten Gefahrenquellen in der jeweiligen Altersgruppe geben zu können. [2]

Dabei zeigte sich, dass bei Kindern von 8-13 Jahren zwei Drittel der Verletzungen durch Unfälle verursacht werden (definiert durch herunterfallende Gewichte und unsachgemäße Benutzung von Geräten). Erst mit zunehmendem Alter (Altersgruppe bis 30 Jahre) reduzieren sich Unfälle und werden ersetzt durch Gelenks- und Muskelverletzungen.

Mythos 4: Bei Kindern sollte Krafttraining nur mit dem eigenen Körpergewicht durchgeführt werden

Stimmt ebenfalls nicht. Kinder werden bei den alltäglichsten Sporttätigkeiten bereits sehr großen Belastungen ausgesetzt – Belastungen, die mitunter einem Vielfachen des eigenen Körpergewichts entsprechen. Zum Beispiel wirkt (je nach Bodenbelag und Kniewinkel) bei einer schnellen Abstopp- oder Abdruckbewegung das 3- bis 4-fache des Körpergewichts auf den kindlichen Stützapparat.

Dasselbe kann man z.B. bei einem Pressball am Fußballfeld annehmen. Auch bei einem Kinder-Skirennen auf Leistungsniveau wirkt in jeder Kurve ein Mehrfaches des eigenen Körpergewichts auf das Kind. Diese Belastung wird durch etwaige Schläge auf den Ski noch verstärkt.

Wie soll man also sein Kind auf solche hohen Belastungen vorbereiten, wenn man lediglich mit dem einfachen Körpergewicht bzw. mit Teilen davon arbeitet?

Krafttraining mit Kindern – was ist zu beachten?

Man kann also nach dem heutigen Wissensstand mit Recht behaupten, dass selbst intensives Krafttraining für Kinder keine Gefahr darstellt. Ein paar sehr wichtige Grundvoraussetzungen gibt es allerdings:

Statische Belastungen mit sehr hohen Gewichten sind zu vermeiden. Auch absolut maximale Kraftbelastungen sind nicht empfehlenswert.

Durch solche Belastungen kann es sehr wohl zu Schäden der Epiphysenfugen eines Kindes kommen. Die Übungsausführung sollte daher zumindest zu einem gewissen Grad dynamisch sein. Besonders betroffen sind z.B. Sportarten wie Klettern (hohe Gewichte auf den Fingern) und Tanzen (Drehen/Stehen auf der Großzehenspitze)

Eine gründliche Technikschulung und ein langsames Heranführen an höhere Belastungen ist unbedingt notwendig.

Die größte Gefahr besteht, wie oben schon erwähnt, durch eine falsche oder unsachgemäße Benutzung von Trainingsgeräten. Dazu gehören auch falsche oder schlechte Übungsausführungen. Es liegt daher an der Aufsichtsperson, darauf zu achten, dass solche Technikfehler vermieden werden.

Des Weiteren kann natürlich nicht einfach mit hohen Belastungen begonnen werden. Zuerst sollte hauptsächlich darauf geachtet werden, dass eine ausreichende Gelenks- und Körperstabilisierung vorhanden ist. Erst dann können, unter Beachtung der richtigen Technik, die Lasten erhöht und die Wiederholungen reduziert werden.

Die Verwendung von Trainingsmaschinen sollte vermieden werden.

Genauso wie bei Erwachsenen haben Trainingsmaschinen durch ihre Führung zwar einen gewissen Sicherheitsvorteil gegenüber freien Hanteln, sie verleiten aber in Folge auch zu einer unsaubereren Übungsausführung.

Da die Gelenksstabilisierung beim Krafttraining mit Kindern, wie oben bereits erwähnt, eine große Rolle spielt, wäre es ratsam auf freie Gewichte zurückzugreifen. Bei Verwendung dieser müssen die Muskeln wesentlich mehr Stabilisierungsarbeit leisten, was auch Vorteile für die Gesamtaktivierung des Muskels bzw. der Muskelgruppe hat. Daher also lieber mit weniger Gewicht, dafür aber frei arbeiten.

Welche Vorteile hat Krafttraining für Kinder?

Werden all diese Voraussetzungen erfüllt, hat Krafttraining viele nachhaltige Effekte auf die kindliche Gesundheit:

  • Günstige Auswirkung auf die Körperhaltung
  • Vorbeugen von Verletzungen in anderen Sportarten
  • Zusätzliche Verbesserung von Schnelligkeit und Koordination
  • Ideale Grundlage zur Leistungsverbesserung in anderen Sportarten
  • Höhere Festigkeit aller passiven Strukturen (Knochen, Bänder, Sehnen, …)
  • Verbessertes Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl
  • Beste Voraussetzungen und Konditionierung für ein weiteres gesundes und sportliches Leben

Literaturverzeichnis:

[1] Faigenbaum A.D. et al (1996); The Effects of Strength Training and Detraining on Children; The Journal of Strength & Conditioning Research. 10(2):109-114, May 1996.[2] Myer G.D. et al (2009); Youth Versus Adult „Weightlifting“ Injuries Presenting to United States Emergency Rooms: Accidental Versus Nonaccidental Injury Mechanisms; The Journal of Strength & Conditioning Research. 23(7):2054-2060, October 2009.

 

Bernadette Hörner
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