Dieser Artikel erklärt (1), warum jeder Sportler saubere Pistols können sollte. Dann (2), wie sie sich meistern lassen, falls es mit der „sauberen“ Ausführung noch etwas hakt. Und schließlich (3), wann und ob es sinnvoll ist, die Übung ins eigene Training einzubauen.

(1) Eine steile These: was zu beweisen war

Die „Pistol“ gehört zu den eher kuriosen Übungen und spaltet die Trainingswelt. Viele BWE-Nutzer (Übungen mit dem eigenen Körpergewicht) lieben die freie einbeinige Kniebeuge als Hauptübung. Andere interessieren sich nicht die Bohne dafür (sie haben ja Hanteln oder Maschinen), kennen sie nicht oder ignorieren sie aus verschiedensten Gründen. Um diese ganze verfahrene Chose ein wenig aufzumischen und einen gemeinsamen Nenner zu finden, möchte ich in den folgenden Zeilen eine ungewohnte Perspektive vorstellen:

stayfocused.de

Einbeinige Kniebeugen sind ein nützlicher „Fitness-Marker“. Sie erfordern eine ausgewogene Entwicklung vieler Eigenschaften, die für Sportler wichtig sind. Deshalb sollte jeder Sportler sie können.

Vielleicht ist nun der eine oder andere Leser neugierig, warum ich den Mund so voll nehme? Nun, diese Betrachtungsweise leuchtet schnell ein – wenn wir uns anschauen, welche Fähigkeiten uns eine saubere Pistolkniebeuge abverlangt:

  • Kraft: Die nötige Power in den Schenkeln hat jeder, der regelmäßig trainiert und beispielsweise Kniebeugen mit dem eigenen Körpergewicht als Zusatzlast schafft. Für Fortgeschrittene also bequem zu erfüllen.
  • Koordination: Im Alltag und Krafttraining wird unsere Koordination, die z.B. auch Balance umfasst, meist sehr wenig gefordert. Pistols können darum auf Anhieb anspruchsvoll sein, verlangen jedoch in diesem Bereich nichts unmenschliches.
  • Beweglichkeit: Der Knackpunkt sind hier die Sprunggelenke, um „at the grass“ zu kommen. Da man bei Pistols beruhigt den oberen Rücken einrunden darf und somit Spielraum gewinnt, ist auch diese Hürde zu packen.
  • Stabilität: All die wichtigen kleinen Muskeln in Rumpf, Hüfte, Knie- und Sprunggelenk, die wir in Alltag und Training oft verkümmern lassen, werden hier gefordert (den fleißigen Lesern der MC-Artikel fällt hier gleich der gluteus medius ein).

Zusammengefasst sagt diese Liste uns folgendes: Saubere Pistols haben überwiegend moderate Anforderungen. Diese Anforderungen verteilen sich sehr gleichmäßig auf einige der zentralen Voraussetzungen für unsere …

  • sportliche Performance,
  • Bewegungsqualität,
  • allgemeine Fitness,
  • Verletzungsprävention.

Die Liste klingt recht spröde, viele Leser werden sie also gerade nur überflogen haben. Ein Fehler. Jeden Punkt sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. Diese Liste schreit geradezu: Sportler sollten Pistols können! Nicht, weil die Übung so „effektiv“ oder „cool“ ist oder ich unsere Leser in die „BWE-Clique“ ziehen will (wenn es sowas gibt). Pistols zu meistern bedeutet ganz einfach, in allen diesem wichtigen Bereichen moderate bis gute Leistungen vorzuweisen, wozu man jeden nur beglückwünschen kann. Nicht dazu in der Lage zu sein bedeutet, grundlegende Defizite in mindestens einem der vier Bereiche zu haben – Punkt aus.

Je nachdem, woran es im Einzelfall krankt, können sich solche Defizite auf verschiedenste Weise äußern: Manche können z.B. ihr Leistungspotential an der Hantel nicht ausschöpfen (ärgerlich). Andere sind stark im Kraftraum, doch ihre Kraft lässt sich nicht auf den Alltag oder anderen Sport übertragen (wem ist das schon wirklich egal?). Bei wiederum anderen kompensiert sich ein solches Defizit durch häufige Verletzungen oder hohen Gelenkverschleiss (spätestens hier wird es ernst). – Gründe genug also für jeden, der sich hier angesprochen fühlt, sich darum zu kümmern!

(2) Keine Panik!

Zum Glück sind wir hier nämlich auf Muscle-Corps, der Anlaufstelle für geballte Kraftsportkompetenz. Mattens Überblicksartikel unilaterales (einbeiniges) Training zählt viele Vorteile einbeiniger Übung auf und gibt Tipps für den Einstieg. Fortis großer Artikel Kniebeschwerden – Vorbeuge und Beseitigung hingegen behandelt ausführlich praktische Übungen, um Knie und Sprunggelenk kugelsicher zu machen. Diese Lektüre sei allen Interessierten oder Betroffenen ans Herz gelegt. Sie ebnet jedem Einsteiger, der sich dazu bereit fühlt, den Weg zur „Königsdisziplin Einbeinige Kniebeuge“.

Im Folgenden stelle ich zusätzlich eine direkte, spezifische Progression vor. Mit ihr hat es eine besondere Bewandnis. Obwohl für mich selbst Pistols zur Zeit „nur“ eine Aufwärmübung darstellen, gehe ich diese Progression gern und regelmäßig durch, im Rahmen von Warmup oder Preha. Sie ist für Einsteiger ebenso interessant wie für weit Fortgeschrittene. Jede der drei Übungen hat ihren eigenen, ganz speziellen Schwerpunkt.

Single Leg Squat to Bench
Für den Anfang sollte man eine Bank wählen, die höher als Kniehöhe ist. Die Übung sieht von außen leicht aus, hat es aber faustdick hinter den Ohren: Die Kraft wird zwar kaum gefordert, die Koordination jedoch bereits ordentlich. Besonders Knie- und Sprunggelenk sind dankbar, und ohne Hüftarbeit geht es nicht. Auch unabhängig von der Pistol-Progression also eine super Übung zum Aufwärmen fürs Beintraining, zur Preha und Reha. Zusatzgewichte sind möglich. Tipp: Nicht über Vorfuß oder Ferse abdrücken, sondern über den Mittelfuß.

Skater Squat
Mit Zusatzgewicht wie im Video eine tolle Alternative zu Pistols, auch für später. Der reduzierte Bewegungsumfang gibt der Muskulatur einen ungewohnten Reiz. Wer sich mit dieser Übung wohlfühlt, muss für den letzten Schritt zur Pistol oft nur noch lernen, den Kopf auszuschalten und sich mit Spannung absacken zu lassen (Der Kopf kann hier eine große Hürde sein). Ebenfalls zu sehen ist der Standardtip zu Pistols: Ein kleines Kontergewicht in den Händen erleichtert die Balance enorm (wenn man das möchte).

Deck Pistol
Hier üben wir die Negative (das saubere Ablassen) in voller ROM und nehmen dann ordentlich Schwung aus der Rolle mit, der uns beim Aufstehen hilft. Gleichzeitig arbeiten wir an Koordination, sauberem Abrollen und Wirbelsäulenbeweglichkeit; tolle Gimmicks für jeden Sportler, der nicht schon in Turnen, Parkour oder Kampfsport geübt ist! Statt die Kür in Käferhaltung zu stoppen wie der etwas phlegmatische Vorturner im Video, kann man auch mit einer Kerze oder Rolle rückwärts experimentieren. Viel Spaß an der Bewegung gehört hier einfach dazu. Tipp: Sofort nach dem Schwungholen die Ferse eng ans Gesäß ziehen.

Wer saubere 3×10 Wiederholungen einer Übung schafft, darf zur nächsten Stufe weitergehen. Details wie Pausenzeiten, Beine abwechselnd oder nacheinander etc. sind euch überlassen: Wie überall im Training entscheiden nicht die (ablenkenden) Details über den Erfolg, sondern, ob die Basics mit Herzblut durchgezogen werden. Wer alle drei Stufen gepackt hat, ist in der Lage, jederzeit und nach Belieben saubere Pistolsquats rauszufeuern – und hat womöglich ganz nebenbei große Verbesserungen in seiner Bewegungsqualität, Stabi und Preha erzielt.

(3) Ein kurzer Ausblick

„Jetzt kann ich Pistols. Wie geht es weiter?“
Es gibt viele Möglichkeiten, Pistols ins Training einzubauen: Einige Mitglieder unserer MC-Community reservieren zum Beispiel eigene Tage für Körpergewichtsübungen. Andere haben Morgenroutinen oder Preha-Einheiten, die sich für Pistols oder die oben vorgestellten Progressionsübungen anbieten. Grundsätzlich können sie als normale Übung in jeden Trainingsplan integriert werden. Hilfreich zur Einordnung können euch folgende Tipps sein:

  1. Wie oben gezeigt, gibt es viele mögliche Flaschenhälse in der Übung. Wer z.B. noch eine schlechte Balance hat, muss Pistols immer als Übung für den Flaschenhals „Balance“ betrachten. Die eigene Kraft kann noch nicht vollständig ausgereizt werden. Das heißt, der Platz dieser Übung im Trainingsprogramm ist immer höchst individuell zu betrachten.
  2. Ein durchschnittlicher, gesunder Mensch wird im Normalfall jedoch alle benötigten Qualitäten auf ähnliches Niveau entwickeln können. Ist dieser Punkt ersteinmal erreicht, kann die Übung sehr gut als Kraftübung für den Unterkörper benutzt werden, die andere nützliche Qualitäten gleich „mitabfrühstückt“. Die BWE-Leute machen es vor.
  3. Wer jemals einen All-Out-Satz gemacht hat und anschließend vor prallen Quads kaum laufen konnte, weiß, wie potent Pistols für die Beinentwicklung sein können.
  4. Pistols entlasten den Rücken. Das kann, je nach Ziel, ein Vorteil oder Nachteil sein.
  5. Last but not least: Wer die Übung einmal als Tool in seinem Baukasten hat, muss sie nicht benutzen – Merksatz: es gibt keine essentielle Übung. Als kleiner show-off in einem sportfremden Bekanntenkreis taugen Pistols aber immer. ;-)

Ich hoffe, dieser kleine Überblicksartikel konnte den einen oder anderen Gedanken anstoßen. Diskussionen und Fragen können in unserem Forum gestellt werden: Thread zum Artikel

 

Bildquelle Cover: „lanes at Franklin High School track“ von Celeste (@flickr)