Das Phänomen Muskelkater und Hypertrophie ist noch garnicht mal so gut verstanden wie man annehmen dürfte. Bis noch vor garnicht allzulanger Zeit herrschte noch die Vorstellung Ursache des Muskelkaters sei die Laktatanhäufung bei anaeroben Belastungen und damit eine Übersauerung des Muskels. Es dürfte sich allerdings inzwischen überall rumgesprochen haben, dass diese These falsch ist.
Ersteinmal muss man definieren, was Muskelkater überhaupt ist. Muskelkater ist eine verzögerte Reaktion des Muskels nach einer ungewohnten Belastung, die eine Schwellung des Gewebes, Schmerzen und verminderte Kraftfähigkeit des Muskels zur Folge hat.
Welchen Sinn hat Muskelkater?
Dazu muss man erst einmal den Aufbau des Muskels kennen. Die Muskelzelle ist von einer Membran umgeben, dem Sarkolemm. Unterhalb dieser Membran ist der eigentliche funktionelle Teil der Muskelzelle über ein Cytoskelett („Cyto“ steht für Zelle) mit dem Sarkolemm verbunden. Entscheidender Reiz, der die Muskelkaterreaktion hervorruft ist nach aktuellen Theorien die Zerstörung dieser Strukturen, die zu der darauf folgenden Reaktion führt.
Zum weiteren Verständnis ist es hilfreich zu verstehen wie die Muskulatur funktioniert.
Hier seht ihr das Ganze nochmal reduziert auf die funktionsentscheidenden Elemente:
Die Verkürzung des Muskels entsteht indem die Myosinfilamente an den grau gezeichneten Actinfilamenten vorbeigleiten. Man kann sich kleine Ärmchen an den Myosinfilamenten vorstellen, die an die Aktinfilamente heften und wenn die anfangen zu ziehen dann zieht sich der gesamte Muskel zusammen, weil die Myosinfilamente in die Aktinfilamente hineingleiten.
Der Bereich von Z-Scheibe zu Z-Scheibe nennt sich Sarkomer. An den Z-Scheiben sind die Aktinfilamente befestigt und wie ihr in der vorherigen Grafik sehen könnt ausserdem auch Cytoskelettelemente.
Verbreitet ist die Annahme, dass eine Zerstörung der Z-Scheiben der ausschlaggebende Reiz für den Muskelkater ist, dies basiert auf der Tatsache, dass man ein „Verwischen“ der Scheiben unter dem Elektronenmikroskop erkennen kann. Der Forscher Ji-Guo Yu hat dafür eine andere Theorie. Er hat Hinweise darauf, dass obig erklärter Mechanismus der entscheidende Vorgang ist und die „verschmierten“ Z-Scheiben unter dem Mikroskop Vorstufe einer Neuerschaffung von Sarkomeren ist.
Diese Theorie klingt sehr logisch, denn wenn die Muskelfaser in mehr Sarkomere unterteilt wird, so erhöht sich ihre passive Stabilität – je mehr Pfeiler die Brücke hat, desto schwerer wird es sie einstürzen zu lassen. Zudem ist eine solche Reaktion bei Tieren bereits nachgewiesen und kann beim Menschen lediglich aus ethischen Gründen nicht eindeutig untersucht werden. Darüber aber bitte keine kritische Diskussion, die hatte ich schon zu genüge mit Dr. Moosburger.
Muskelkater = Hypertrophie?
Das wiederum kann man sich nur dann herleiten, wenn man weiß, was Hypertrophie bedeutet. Hypertrophie ist erst einmal nur die Zunahme des Muskels an Masse und Volumen = Muskelaufbau. Das kann auf vielen Wegen erreicht werden. Entscheidend ist, dass es sich beim Muskel um eine sogenannte polyenergide Zelle handelt. Das heisst, die Muskelfaser ist eine große Zelle, die mehrere Zellkerne besitzt. Der Zellkern einer Zelle ist das Organisationszentrum für die Erschaffung und Organisation der Proteine in einer Zelle – und quasi fast jeder funktionelle Bestandteil der Zelle besteht aus Proteinen. Ein Zellkern in der Muskelfaser besitzt einen fest abgesteckten Bereich, den er zu „verwalten“ hat. Bei Bedarf kann sich dieser Bereich in der Größe verändern. Man nennt diesen Bereich „myonucleare Domäne“ oder myonuclear domain = MND.
Wie gesagt die MND kann größer werden und das bedeutet Hypertrophie, denn es heisst neue Proteine werden in den Muskel eingelagert. Ein Muskel gewinnt durch Hypertrophie an Kraft, weil die Myofibrillen (siehe Grafik oben, quasi die Reihe der Sarkomere hintereinander) aufsplitten und damit mehr Zentren der Kraftentstehung entstehen – dies sind im Übrigen auch alles Proteine. Die genauen Zusammenhänge sind unendlich komplex, viele Faktoren lösen die Hypertrophiereaktion und damit die Vergrößerung der MND aus, viele davon sind nicht vollständig verstanden und es sind schlicht zu viele um Hypertrophie (als umfassenden Begriff einer Vielzahl von Anpassungsreaktionen) auf nur einen Faktor festzumachen.
Aber es gibt einen entscheidenden Punkt, der uns doch weiter hilft. Das Modell der MND kann einiges der Erfahrungen aus dem Training potentiell erklären.
Anfänger bauen sehr leicht auf und müssen garnicht mal so sehr darauf achten, was sie machen, sondern nur einfach irgendetwas machen. Einer (von mehreren) der Gründe wird sicherlich sein, dass die MND in ihrer Größe irgendwann ein Limit erreicht hat. Es reicht nicht, dass der Kern immer mehr Proteine anhäuft, sondern irgendwann wird die Präsenz von neuen Kernen notwendig. Das wiederum geschieht nicht ganz so einfach, da sind anscheinend andere Faktoren entscheidend als bei der bloßen myonucleären Hypertrophie.
Hier kommen die sogenannten Satellitenzellen ins Spiel. Satellitenzellen sind im Muskel in der Nähe der Muskelfaser vorhanden. Satellitenzellen sind quasi eine Art Stammzellen, Zellen, die noch weitestgehen undifferenziert sind und deren endgültige Form und Aufgabe noch nicht exakt feststeht. Satellitenzellen besitzen die Fähigkeit mit der Muskelfaser zu fusionieren und ihren Kern als weiteren Kern der Zelle „Muskelfaser“ beizusteuern. Ausserdem könnten sie zusammen neue Fasern bilden aber da das kontrovers ist und die Muskelfaserhyperplasie beim Menschen nicht nachzuweisen lasse ich das mal bewusst weg.
Entscheidend ist, dass eine Summe von chemischen Signalen ausschlaggebend dafür sind, dass die Satellitenzellen auf diese Weise reagieren. Sie „kriechen“ sogar zum Ort des chemischen Signals um dort zu fusionieren. Der Fachbegriff dafür lautet Chemotaxis, die zielgerichtete Bewegung zu einem chemischen Signal hin. Entscheidend ist, dass diese chemischen Signale dann entstehen, wenn die Zelle verletzt wird. (Mikrotraumata) Das Sarkolemm wird beschädigt und Zellinhalt kann austreten, es entsteht eine Entzündungsreaktion, alle diese Faktoren scheinen die Satellitenzellen zu beeinflussen und dazu zu bewegen mit der Muskelfaser zu fusionieren. Für den Fortgeschrittenen bietet somit nur die Ruptur des Sarkolemns noch eine Möglichkeit weitere Hypertrophie zu erreichen.
Negativ-Training löst verstärkt Muskelkater aus
Muskelkater entsteht bevorzugt wenn die exzentrische Phase sehr intensiv ist. Wie kommt das? Nun, wird das Gewicht herabbewegt so überlappen im Muskel auf mikroskopischer Ebene immer weniger Myosinärmchen mit den Actinfilamenten, die Einheiten werden auseinandergezogen und in Folge kann der Muskel im gedehnten Zustand dem Gewicht weniger Kraft entgegenwirken, es wirkt eine höhere Belastung auf die passiven Elemente des Muskels und die zellulären Strukturen werden beschädigt. Hier wird auch klar, wieso man Hypertrophie nicht mit Muskelkater gleich setzen kann. Man könnte vermutlich mit einem Krafttraining, welches nur aus Negativwiederholungen besteht ebenfalls an Masse aufbauen, aber man würde niemals die Kraft bzw. die ganze Hypertrophie erlangen, die man mit einem regulären Training erreicht.
Ich kann es nur noch mal wiederholen: Hypertrophie ist eigentlich eine Vielzahl von Reaktionen, die dasselbe Ergebnis haben – Volumenvergrößerung des Muskels. Die negative Phase der Bewegung spielt eine sehr entscheidende, aber eben nicht die einzige Rolle für die Hypertrophie. Insbesondere unter funktionellen Aspekten ist ein reines Negativtraining nicht sinnvoll, allerdings sollte man sich der Bedeutung der exzentrischen Phase für die Hypertrophie bewusst sein – wer ruckartig „fallenlässt“ verschenkt ein enormes Maß an hypertrophierelevantem Trainingsreiz, folglich immer auf eine möglichst saubere, kontrollierte exzentrische Phase achten!
Die Erfahrung, dass Muskelkater in einem „second bout“ Effekt bei einem zweiten gleichartigen Reiz nicht mehr auftritt und die Tatsache, dass das Verletzungsrisiko für den Muskel in der exzentrischen Phase am höchsten ist lassen die oben bereits erwähnte Theorie, der Muskelkater habe als Resultat eine mechanische Stabilisierung der passiven Elemente durch Einfügen neuer Sarkomere in Reihe recht logisch erscheinen, wenn man sich überlegt, dass ein solcher Mechanismus zur Verletzungsprävention durchaus Sinn macht.
Was heisst das für die Wichtigkeit des Muskelkaters?
Nun, man muss sagen, dass Muskelkater und Hypertrophie oft gemeinsam auftreten können, aber nicht müssen. Wird das Sarkolemma beschädigt, so wird sehr wahrscheinlich auch die Struktur beschädigt, die die Muskelkaterreaktion auslöst. Aber man muss verstehen, dass der Muskelkater einen etwas anderen bzw spezielleren Sinn zu erfüllen scheint als die Hypertrophie (was um es noch mal zu betonen ein Sammelbegriff für eine Menge von Ergeignissen ist). Muskelkater bzw die folgenden Anpassungen scheint hauptsächlich der mechanischen Stabilisation des Muskels zu dienen während Hypertrophie eine Sammlung von Reaktionen ist, die den Muskel funktionell stärken sollen. Es ist so, dass mit der Zeit einfach kein Muskelkater mehr auftritt. Der Grund wird zwar einerseits auch sein, dass es schwer ist noch so ungewohnte oder intensive Reize zu setzen den Muskel noch zu einem Muskelkater zu bringen, andererseits aber nimmt auch die Schmerzempfindlichkeit mit der Zeit ab. Ich weiß nicht, wie weit sich der zu erst beschriebene Mechanismus ebenfalls abstellt aber Fakt ist, dass man wohl auch Mikrotraumata bekommen kann, ohne davon jemals etwas in Form von Schmerzen zu merken. Insofern kann der Muskelkater garkein „Ziel“ sein, lediglich als Zeichen verstanden werden, dass der gesetzte Reiz zumindest nicht zu schwach war.
Zu dem Schluss, dass Muskelkater kein ausreichender Maßstab für eine Mikrotraumatisierung ist kommt auch diese Studie:
Zitat: Delayed-onset muscle soreness does not reflect the magnitude of eccentric exercise-induced muscle damage
Kazunori Nosaka1,2, Mike Newton2, Paul Sacco2
- This study investigated the relationship between delayed-onset muscle soreness and other indicators of muscle damage following eccentric exercise. Male students (n = 110) performed 12 (12ECC), 24 (24ECC), or 60 maximal eccentric actions of the elbow flexors (60ECC). Maximal isometric force, relaxed and flexed elbow joint angles, upper arm circumference, and plasma creatine kinase activity were assessed immediately before and after, and for 4 days after exercise. Muscle soreness (SOR) was evaluated by a visual analog scale (a 50-mm line, 0: no pain, 50: extremely painful) when the elbow flexors were palpated (SOR–Pal), flexed (SOR–Flx) and stretched (SOR–Ext). Although 24ECC and 60ECC resulted in significantly (P < ; 0.05) larger changes in all indicators and slower recovery compared to 12ECC, no significant differences were evident for SOR–Pal and SOR–Flx between 12ECC and 24ECC, or 12ECC and 60ECC. In contrast, SOR–Ext was significantly (P <; 0.05) lower for 12ECC compared to 24ECC and 60ECC. A Pearson product-moment correlation showed SOR–Pal did not correlate significantly with any indicators, however, SOR–Ext and SOR–Flx showed weak (r <; 0.32) but significant (P <; 0.05) correlations with other indicators. Because of generally poor correlations between DOMS and other indicators, we conclude that use of DOMS is a poor reflector of eccentric exercise-induced muscle damage and inflammation, and changes in indirect markers of muscle damage and inflammation are not necessarily accompanied with DOMS.
Welche Bedeutung hat der Muskelkater nun für mich?
Ein Anfänger trainiert vermutlich sogar besser ohne Muskelkater. Muskelkater hat nämlich ebenfalls zur Folge, dass die Kraftfähigkeit abnimmt, was eine geringere Leistung im Training zufolge hat. Zudem sollte man auch sehen, dass der Muskelkater beim Training das Verletzungsrisiko erhöht. Ein leichtes Training mit Muskelkater ist okay, aber die Maxkraftversuche sollte man sich wohl besser für einen anderen Tag aufheben. Aber man kann aus diesen Überlegungen zur Hypertrophie auch für Fortgeschrittene etwas ableiten. Im Sinne eines hypertrophieorientierten Trainings braucht ein Fortgeschrittener Reize, die intensiv genug sind den Muskel zu mikrotraumatisieren. Fortgeschrittenentechniken, die im späteren Trainingsverlauf unterstützdend sein können sind die im Bodybuilding üblichen Techniken wie Training bis zum Muskelversagen und abgefälschte Wiederholungen, Negativsätze mit hohem Gewicht sowie Loaded Stretching.
Bei Letzterem sollte eventuell noch erwähnt werden, dass auch hier ein gewisses Verletzungsrisiko eingegangen wird. Muskelkater kann vom Fortgeschrittenen so verstanden werden, dass ein ungewohnter Reiz gefunden wurde, mit dem wieder eine Steigerung möglich sein kann, Anfänger sollten ihn wohl eher als Zeichen interpretieren mit dem Training ein wenig runterzuschrauben, zumindest in den Phasen wo man noch Muskelkater hat.
Fazit
Im Nachhinein vielleicht noch die Erklärung, dass dieser Text meine persönliche Interpretation der Informationen, die ich aus meinen Quellen erhalten habe darstellt und nicht zwangsläufig richtig sein muss. Meine Interpretation deckt sich mit denen der Wissenschaftler die das Phänomen untersuchen, aber auch deren Aussagen sind lediglich Theorien. Wie anfangs bereits gesagt ist das Thema Muskelkater und Hypertrophie garnicht so ausführlich verstanden, wie man vielleicht meinen mag. Aber ich denke auch, dass die gängigen Theorien sehr logisch klingen, im Endeffekt versuche ich euch nur mein Verständnis von der Trainingsphysiologie etwas näher zu bringen und zu beschreiben, wie ich das aktiv umsetze in Richtlinien für das Training.
Ich hoffe der Text war für euch nicht zu lang und ich hoffe, ihr konntet einiges mitnehmen wenn ihr trotzdem ausgehalten habt.
Quellen:
RE-EVALUATION OF EXERCISE-INDUCED
MUSCLE SORENESS
An Immunohistochemical and Ultrastructural Study
Ji-Guo Yu
The effects of heavy resistance training and detraining on satellite cells in human skeletal muscles
Fawzi Kadi1, Peter Schjerling2, Lars L. Andersen2, Nadia Charifi1,3, Jørgen L. Madsen2, Lasse R. Christensen2 and Jesper L. Andersen2
http://jp.physoc.org/cgi/reprint/558/3/1005
Muscle damage from eccentric exercise: mechanism,
mechanical signs, adaptation and clinical applications
U. Proske and D. L. Morgan *
http://jp.physoc.org/cgi/reprint/537/2/333
Myogenic satellite cells: physiology
to molecular biology
THOMAS J. HAWKE1 AND DANIEL J. GARRY1,2
http://jap.physiology.org/cgi/reprint/91/2/534.pdf
P.S.: Ein Dankeschön an blackenslaver666, der mich letztlich auf diese Quellen gebracht hat.
Autor: Dissection